1. Generation

Erna Vargasova

Geburtsort:
Geburtstag:
Roots:
Zurückgelegter Weg:
Ausgewandert mit:
Mädchenname:
Beziehung:

Schila, Russland
02. Juni 1950
Deutsch
6.561 km
57 Jahren
Klauser
Mutter von Valery,
Großmutter von Regina

Über ihre Eltern

Die Vorfahren meiner Mutter kamen ursprünglich aus Schwaben und sie selbst war aus einer armen Familie. Später, als sie erwachsen wurde, lernte sie meinen Vater kennen. Er stammte aus einer wohlhabenden Familie mit einem eigenen Wurstbetrieb. Doch das Leben war hart. Während des Krieges wurden sie und die ganze Familie aus Saratow nach Sibirien deportiert. Dort lebten sie zuerst in einer selbst gegrabenen Erdhütte. Mein Vater war in der Trudarmee und kam erst nach Jahren zurück – krank, abgemagert, aber lebendig. Er erzählte uns, dass das Nichtrauchen sein Leben verschont hatte.

Meine Mutter sorgte sich immer um uns acht Kinder, gab uns all ihre Liebe und wollte, dass wir ein besseres Leben haben. Trotz allem, was sie durchgemacht hatte, war sie voller Stärke und Fürsorge.

Meine Kindheit war nicht immer einfach, aber wir hatten alles, was wir brauchten. Wir hielten Tiere – Kühe, Schweine, Hühner und sogar Gänse. Unser großer Garten versorgte uns mit frischem Gemüse und Obst. Wir Kinder halfen immer mit und hatten trotzdem Zeit, uns kleine Streiche zu erlauben, wie heimlich Gurken oder Sonnenblumen zu naschen. Unsere Mama war streng, aber liebevoll. Sie arbeitete hart und sorgte dafür, dass es uns gut ging, auch wenn wir wenig hatten. Mein Papa war nach der Trudarmee nicht in der Lage, regelmäßig zu arbeiten. Er ging jedoch sehr sparsam mit dem Geld um, sodass wir immer einen Notgroschen hatten. Unsere Mama war besonders stolz auf unsere deutschen Traditionen – Feiertage wie Ostern oder Weihnachten wurden bei uns doppelt gefeiert, und unsere Küche war voller deutscher Gerichte wie Strudel und Krebel. Trotz der schweren Zeiten war unsere Familie unser größter Halt, und unsere Eltern haben uns mit all ihrer Liebe getragen.

Während meiner Schulzeit war es nicht immer einfach. Wir wurden oft beschimpft, weil wir Deutsche waren. Ich wurde gehänselt und manchmal sogar verletzt. Ein Nachbarsjunge ärgerte mich lange Zeit, bis mir jemand beibrachte, wie ich mich wehren konnte. Mit der Zeit hörte mein Nachbar mit den Beleidigungen auf, und es führte sogar dazu, dass er später einmal für mich einstand. Früher oder später gewöhnten sich die Menschen im Dorf an uns. Wir spielten gemeinsam Domino, aßen am Lagerfeuer und sangen Lieder.

Mein Vater war sehr traditionell. Er legte großen Wert darauf, dass wir unsere deutschen Wurzeln bewahren, und er wollte nicht, dass seine Kinder Nicht-Deutsche heiraten. Als meine ältere Schwester einen Russen heiraten wollte, sagte er ihr, dass sie, sobald sie das Haus verlassen hätte, bei Problemen oder Streit nicht zurückkommen solle. Als ich erwachsen war, lernte ich meinen zukünftigen Mann kennen, der Russe war. Wäre mein Vater noch am Leben gewesen, hätte er das wohl nicht akzeptiert. Doch meine Mutter war weise und diplomatisch, weshalb sie uns ihren Segen gab. Mein Mann und ich verliebten uns ineinander, und bald kam unser erstes Kind zur Welt.

Schon in jungen Jahren begann ich als Schneiderin zu arbeiten. Als mein erster Sohn geboren wurde, musste ich mich gleichzeitig um ihn kümmern, da mein Ehemann Wehrpflicht hatte. Meine Mutter sagte uns immer, wir sollten unsere Sprache und unsere Traditionen bewahren. Es war, als hätte sie bereits geahnt, dass wir eines Tages nach Deutschland zurückkehren würden.

Als meine Schwester aus Kasachstan nach Deutschland zog, lud sie uns ein, und schließlich beschlossen wir, ebenfalls nachzukommen. Mein jüngerer Sohn wollte nicht nach Deutschland ziehen, aber mein ältester Sohn war neugierig auf das Leben hier. Wäre auch er dagegen gewesen, wäre ich wahrscheinlich in Russland geblieben. In Russland hatte ich keinen deutschen Pass – nur in meiner Geburtsurkunde stand, dass meine Eltern und ich Deutsche waren. Bevor wir nach Deutschland kamen, musste ich einen Sprachtest ablegen, um meine deutsche Herkunft zu bestätigen. Die ersten Jahre hier waren schwer. Die Sprache und vieles andere war ungewohnt. Zu Hause in Russland sprachen wir Schwäbisch, was in Bayern oft missverstanden wurde. Bei Spaziergängen war es uns anfangs unangenehm, miteinander Russisch zu sprechen. Deshalb redeten wir oft in unserem akzentreichen Deutsch oder schwiegen sogar, wenn wir an anderen vorbeigingen.

Wir leben jetzt ruhig hier in Hof, in einer Zwei-Zimmer-Wohnung im ersten Stock. Ich sammle Engelsfiguren – sie bereiten mir Freude. Oft koche ich für meinen Mann, vor allem deutsche Gerichte, die ich seit meiner Kindheit kenne. Im Sommer fahren wir in unseren Garten, unsere Datscha, die nicht weit von der Stadt entfernt liegt. Dort pflanzen wir Tomaten, Gurken, Beeren und Sauerampfer, dessen Samen wir von einem Besuch in Russland mitgebracht haben. Die ganze Familie kommt oft zusammen – wir machen Schaschlik und entspannen uns in der selbstgebauten Sauna. Danach trinken wir immer einen Minztee mit der Minze, die in unserem Garten wächst. Manchmal vermisse ich die Zeit in Russland. Dort war mein Leben, dort sind meine Erinnerungen. Aber hier haben wir uns ein gutes Leben aufgebaut. Es ist anders, aber es ist unser Zuhause geworden.

Wie war für Sie das erste Jahr in Deutschland?

Wie ist das Leben für Sie in Deutschland im Vergleich zu Russland?

Fühlen Sie sich eher als Deutsche, als Russin, oder als etwas dazwischen?

Was ist Heimat für Sie?

Das erste Jahr in Deutschland war unglaublich schwer. Wir konnten nicht so sprechen wie die Menschen hier. Die deutsche Sprache, die wir von kleinauf kannten, klang anders, unser Akzent verriet uns sofort. Ich besuchte die Schule, lernte die Sprache, doch wir wagten es kaum, laut zu sprechen. Auf der Straße, in Geschäften – überall hielten wir uns zurück. Zuhause sprachen wir Russisch, wie immer, denn das war unser Schutzraum. Aber wer einen verstehen wollte, hat uns trotzdem verstanden.

Hier ist das Leben leichter: die medizinische Versorgung ist besser, ich bin seither viel gereist, habe neue warme Orte entdeckt und die soziale und materielle Hilfe anfangs als sehr hilfreich empfunden. Hier haben wir keine Landwirtschaft, und das erleichtert vieles. Dennoch haben wir auch hier eine Datscha. Es scheint, als läge uns das im Blut – das Bedürfnis, irgendwo zu graben, etwas zu pflanzen und zu pflegen.

Schwer zu sagen. In meiner Jugend fühlte ich mich klar als Deutsche, selbst in Russland. Doch als ich meinen russischen Mann heiratete und viel mit seiner Familie zusammen war, wurde der Einfluss stärker. Trotzdem blieb ich innerlich immer Deutsche. Mein Herz gehört beiden Welten, aber tief im Inneren bin ich Deutsche geblieben.

Heimat, das ist für mich immer noch Russland. Dort bin ich geboren, dort habe ich meine Wurzeln. Es ist der Ort, den ich mit meiner Kindheit und meinen warmen Erinnerungen verbinde. Auch wenn ich Deutsche bin und mich stets als solche gefühlt habe – in Russland war ich Deutsche, hier bin ich es ebenfalls. Aber mein Herz hängt an der Heimat, an Russland.

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Im nächsten Kapitel teilt die zweite Generation einer russlanddeutschen Familie ihre Lebensgeschichte.