2. Generation

Zhanna Vargasova

Geburtsort:
Geburtstag:
Roots:
Zurückgelegter Weg:
Ausgewandert mit:
Mädchenname:
Beziehung:

Schila, Russland
05. Dezember 1967
Russisch
6.561 km
43 Jahren
Artem'eva
Schwiegertochter von Erna,
Mutter von Regina

Über ihre Eltern

Meine Eltern lernten sich vermutlich im Dorf kennen. Meine Mutter, die aus der Stadt kam, besuchte oft ihre Familie im Dorf. Vielleicht trafen sie sich auf einer Feier oder im Dorftreffpunkt, dem Club – das war damals üblich.

Wir hatten ein großes Haus mit einem 20-Hektar-Garten und viel Vieh: zwei Kühe, Schweine, Hühner und manchmal Kälber. Meine Mutter kümmerte sich um alles – sie versorgte uns Kinder, führte den Haushalt und nähte unsere Kleidung, sogar Mäntel.

Die Kindheit war arbeitsreich, aber auch unbeschwert und voller schöner Erinnerungen. Wir halfen viel mit, ob beim Heu machen, Beeren sammeln oder Kühe eintreiben. Es war ein einfaches, aber erfülltes Leben.

Ich wurde in dem kleinen sibirischen Dorf namens Schila geboren, wo die Winter eiskalt waren, bis zu minus 45 Grad, und die Sommer heiß. Wir waren eine große Familie, fünf Kinder. Außerdem lebten meine Großeltern mit uns, denn es gehörte sich einfach so, dass der jüngste Sohn sie aufnahm.

Ich erinnere mich an viele besondere Momente, zum Beispiel an die dunkelroten Stiefel, die ich mir so sehr wünschte. Sie waren unglaublich teuer, fast so viel wie das monatliche Gehalt meines Vaters. Natürlich konnte meine Mutter mir diese nicht einfach so kaufen. Aber ich wollte sie unbedingt, also habe ich eine Szene im Geschäft gemacht – ich habe geweint, geschrien und die Verkäuferin sicherlich zur Verzweiflung gebracht. Und siehe da – meine Mama konnte nicht anders und hat sie mir dann doch gekauft. Doch am Ende habe ich sie vielleicht nur zwei bis drei Mal getragen.

Die Sommer waren voller Leben. Wir halfen bei der Ernte, fuhren aufs Feld, wo wir Kartoffeln ausgruben. Nach der Arbeit machten wir ein Lagerfeuer, warfen die Kartoffeln hinein und aßen sie später mit frischer Milch – ein einfaches, aber unvergessliches Festessen.

Wir sammelten Beeren im Wald: Erdbeeren, Johannisbeeren und Vogelbeeren. In einem so großen Haushalt musste man früh lernen, mitanzupacken. Wir hielten zusammen, halfen uns gegenseitig und teilten alles. An diese Zeiten denke ich noch heute gerne zurück.

Meine Jugend war geprägt von einer fröhlichen und aktiven Schulzeit. Die Schule war für mich ein besonderer Ort, an dem wir nicht nur gelernt, sondern auch viel Zeit miteinander verbracht haben. Jeden Tag gab es Sport und Spiele – Volleyball, Basketball, Langlauf im Winter und andere Aktivitäten. Zu meiner Schulzeit wurden die Deutschen nicht ausgegrenzt, besonders nicht wegen ihrer Herkunft. Einige meiner Mitschüler waren Deutsche, wie Günther, Ecker oder mein Ehemann Valery. Aber für uns spielte das keine Rolle. Es gab keinen Spott, keine Feindseligkeit – nur Freundschaft.

Mein späterer Mann, kam in der dritten Klasse neu zu uns. Er behauptet, er habe sich sofort in mich verliebt, als ich ihn einmal zurechtgewiesen und „Sei leise!“ gesagt habe. Wir blieben Freunde, spielten gemeinsam Sport und verbrachten die Schulzeit miteinander. Erst als er nach der Schule in die Armee ging und mir begann, Briefe zu schreiben, entwickelte sich unsere Beziehung. Ich schrieb ihm zurück – und der Rest ist Geschichte.

Als Valery aus der Armee zurückkam, war ich gerade im Garten und hackte Unkraut. Plötzlich sah ich ihn den langen Pfad entlangkommen – in seiner Uniform, vielleicht mit Blumen in der Hand. Es war ein berührender Moment, als wir uns umarmten. Im Sommer trafen wir uns oft, und im Herbst beschlossen wir zu heiraten.

Ich arbeitete damals in Krasnojarsk als Kassiererin und lebte in einem Wohnheim. Es war anstrengend ohne eigene Wohnung, doch wir hatten einen Plan: Mein Mann begann als Schlosser zu arbeiten, und während ich mit Artur schwanger war, bekamen wir eine kleine Einzimmerwohnung. Später zogen wir in eine größere Wohnung, bevor die Perestroika begann.

Unsere ersten Jahre waren geprägt von harter Arbeit und dem Wunsch, unseren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Nach Artur wurde Regina geboren, und bald darauf fiel die Entscheidung, nach Deutschland auszuwandern. Es war keine leichte Wahl, aber wir sahen darin eine Chance. Wir mussten Sprachtests bestehen und Gespräche führen. Und obwohl mir die deutsche Sprache sehr schwer fiel, schaffte auch ich es und kam – drei Monate später als mein Mann und meine Kinder – in Deutschland an.

Seit wir in Deutschland leben, hat sich vieles verändert. Nach der Migration musste ich mich beruflich neu orientieren – von einer Kassiererin und Verkäuferin in Russland zu einer Küchenhilfe hier. Es war nicht immer leicht, vor allem wegen der Sprachbarriere, aber mit der Zeit habe ich mich angepasst. Jetzt fühle ich mich in meinem Alltag angekommen.

Mein Mann, der diesen Schritt nach Deutschland am meisten wollte, hat uns leider viel zu früh verlassen. Er war es, der uns in vieler Hinsicht zusammengehalten hat, und es schmerzt, dass er nicht mehr hier ist, um dieses Interview zu führen. Er hatte es geschafft, sich schnell in die Gesellschaft zu integrieren und sich hier ein neues Leben aufzubauen.

Deutschland ist für mich zu einem Zuhause geworden. Ich schätze den Respekt vor den Gesetzen und die Ordnung hier. Doch meine Wurzeln bleiben in Russland – dort, wo ich geboren wurde und die meiste Zeit meines Lebens verbracht habe.

Wie war für Sie das erste Jahr in Deutschland?

Wie haben Sie sich in die Gesellschaft integriert?

Haben Sie nie über eine Rückkehr nach Russland nachgedacht?

Was ist Heimat für Sie?

Mein erstes Jahr in Deutschland war eine große Herausforderung, vor allem wegen der Sprache. Mein Mann und meine Kinder holten mich im Mai vom Frankfurter Flughafen ab, da sie bereits seit Januar dort waren. In Friedland lebten wir zunächst in einer Unterkunft für Spätaussiedler. Ich verbrachte drei Monate in einem Integrationskurs, um Deutsch zu lernen. Nach diesen drei Monaten zogen wir im August nach Hof, wo meine Schwiegermutter und unsere Verwandten lebten. Dort bauten wir unser neues Zuhause auf.

Anfangs haben wir eine Unterkunft und Sprachkurse zur Verfügung gestellt bekommen. Im ersten Monat, als wir noch arbeitslos waren, gab es auch finanzielle Unterstützung. Nun, wir haben die Sprache gelernt und gearbeitet. Dein Vater hat sehr früh angefangen zu arbeiten. Das Arbeitsamt hat ihn dabei sehr unterstützt. Es gab Möglichkeiten zur Auswahl, welche Arbeit man machen konnte. Ich arbeite jetzt auch und gebe mir große Mühe.

Nein, solange du deine Schule nicht abgeschlossen hattest, haben wir das nicht in Betracht gezogen. Dein Bruder war schon erwachsen, er hat seine Entscheidung selbst getroffen. Nach ein paar Jahren in Deutschland, hat es ihn wieder zurück nach Russland gezogen. Du warst noch klein, wir mussten an dich denken. Deshalb haben wir nie über eine Rückkehr nachgedacht.

Heimat ist der Ort, an dem ein Mensch, wie ich meine, geboren wurde. Es ist sein Heimatland. Oder gleich Heimat. Für mich ist es Russland.

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Im nächsten Kapitel teilt die dritte Generation einer russlanddeutschen Familie ihre Lebensgeschichte.