3. Generation

Regina Vargasova

Geburtsort:
Geburtstag:
Roots:
Zurückgelegter Weg:
Ausgewandert mit:
Mädchenname:
Beziehung

Krasnojarsk, Russland
31. März 2000
Russisch/Deutsch
6.561 km
9 Jahren
Vargasova
Tochter von Zhanna,
Enkelin von Erna

Über ihre Eltern

Mein Vater arbeitete als Schlosser in der Administration von Krasnojarsk. Einmal erzählte er mir, dass er Vladimir Putin auf dem Flur gesehen hatte – ein Moment, der mich beeindruckte. Meine Mutter war Verkäuferin in einem Möbelhaus, und oft fuhren mein Vater und ich durch den Feierabendstau, um sie abzuholen.

Mein Vater war ein leidenschaftlicher Leser und Maler. Er sprach gerne über Geschichte und Politik und hörte bei Autofahrten deutsche Volkslieder, die er selbst auf CDs brannte. Unsere Sommer verbrachten wir oft bei meiner Oma im Dorf Schila, wo meine Eltern tatkräftig mithalfen – beim Kartoffelernten, Unkrautjäten oder sogar beim Schlachten.

Unsere Familie lebte traditionelle Rollen: Meine Mutter führte den Haushalt, mein Vater kümmerte sich um Bauarbeiten und wichtige Dokumente, und auch wir Kinder halfen mit. Trotz unserer kleinen Familie waren wir von einer großen Verwandtschaft umgeben und feierten die Feiertage stets gemeinsam.

Meine Kindheit war wunderschön. Wir lebten in einer Drei-Zimmer-Wohnung in Krasnojarsk, und besonders die Sommer bei meiner Oma im Dorf sind mir lebhaft in Erinnerung geblieben. In der Stadt spielte ich mit Freunden, besuchte Tanzkurse und malte. Im Dorf dagegen war alles anders: Ich backte Schlammkuchen, rannte durch die Felder, entzündete Lagerfeuer und genoss Kartoffeln und Speck aus Alufolie. Diese beiden Welten – Stadt und Dorf – waren ein großes Privileg.

Schon früh wusste ich, dass wir Deutsche sind. Stolz rechnete ich aus, dass ich „25 % Deutsch“ bin, und erzählte es begeistert meinen Freunden – ich fand es toll, ein bisschen anders zu sein. Als meine Eltern von einem Umzug nach Deutschland sprachen, nahm ich sie nicht ernst. Doch eines Tages war es soweit: Nach einer tränenreichen Abschiedsfeier und 14 Stunden Reisezeit landeten wir in Frankfurt. Meine Oma und mein Bruder holten uns herzlich ab.

Kurz darauf zogen wir für sechs Monate nach Friedland in eine Art „WG“-Zimmer. Dort besuchte ich die Schule und hatte meine ersten Berührungspunkte mit der deutschen Sprache, während mein Vater Sprachkurse belegte. Später kam auch meine Mama nach, und nach drei Monaten zogen wir gemeinsam nach Hof.

In Hof kam ich in die dritte Klasse der Grundschule. Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Schultag: Ich verstand kein einziges Wort, was die Lehrerin sagte. Doch mit der Zeit lernte ich die Sprache. Natürlich gab es schwierige Momente – Mitschüler nannten mich dumm, und eine Lehrerin meinte, ich würde es nie aufs Gymnasium schaffen. Aber ich ließ mich nicht unterkriegen und bewies das Gegenteil. Mein Papa unterstützte mich immer beim Lernen und motivierte mich, dranzubleiben. Bildung war meinen Eltern enorm wichtig.

2012 reisten meine Mama und ich zum ersten Mal nach Krasnojarsk zurück. Mein Bruder, der inzwischen wieder in Russland lebte, holte uns vom Flughafen ab. Die Überraschung für meine Cousine, die nichts von unserer Ankunft wusste, war ein tränenreicher Moment. Doch ich bemerkte, wie schwer es mir fiel, Russisch zu sprechen – nach drei Jahren war Deutsch zur vertrauten Sprache geworden.

Schon immer fand ich es faszinierend, zwei Sprachen zu sprechen – später kamen sogar zwei weitere dazu. Aber irgendwann wurde mir bewusst, dass ich in keiner Sprache wirklich perfekt war. Im Deutschen fühlte ich mich oft unsicher, im Russischen fehlten mir manchmal die richtigen Worte. Dieses Gefühl, irgendwie zwischen den Sprachen zu stehen, wurde immer präsenter. Es war, als würde ich zwischen zwei Welten schweben, ohne jemals ganz anzukommen. Aber genau dieses Dazwischen hat mich auch geprägt. Es hat mir gezeigt, dass Identität nicht immer klar definiert ist, sondern sich ständig weiterentwickelt. Heute sehe ich es als Stärke, beide Kulturen in mir zu tragen – auch wenn es manchmal herausfordernd ist, meinen Platz zu finden.

Vorletzten Sommer ist mein Vater plötzlich verstorben. Er war derjenige, der am meisten nach Deutschland wollte und unsere Familie stets zusammenhielt. Nach seinem Tod musste ich seine Aufgaben im Haushalt übernehmen, was anfangs sehr herausfordernd war. Sein Verlust hat eine Lücke hinterlassen, die nicht zu füllen ist, und ich begann mich zu fragen, wohin ich eigentlich gehöre. Als ich meine Oma Erna fragte, ob sie sich jemals zwischen zwei Welten gefühlt habe, antwortete sie schlicht, dass sie nie darüber nachgedacht habe – sie hatte immer andere Sorgen.

Heute lebe ich mit meiner Mama in der Wohnung, in die wir 2009 eingezogen sind. Sie ist nicht nur meine Mutter, sondern auch meine beste Freundin. Ich mache gerade meinen Bachelor in Kommunikationsdesign, besuche einen Tanzkurs und verbringe gerne meine Zeit in der Natur. Während ich diese Zeilen schreibe, pflanzt meine Mama unsere Pflanzen um und hört die Nachrichten. Kurz zuvor brachte sie mir einen Fruchtteller mit der liebevollen Drohung, dass ich meinen Bachelor bestehen müsse.

Wie war für Sie das erste Jahr in Deutschland?

Wie ist das Leben für Sie in Deutschland im Vergleich zu Russland?

Fühlen Sie sich eher als Deutsche, als Russin, oder als etwas dazwischen?

Was ist Heimat für Sie?

Das erste Jahr in Deutschland war ganz in Ordnung. Als Kind war es aufregend, an einem neuen Ort zu sein und alles zu entdecken. Damals verstand ich jedoch noch nicht, dass es für immer sein würde – oder zumindest für eine lange Zeit. Ich dachte nur, dass wir bald wieder nach Russland zurückkehren würden. Doch mit jedem Päckchen, das Spielzeug, Kleidung oder Geschirr enthielt, wurde mir klar, dass es keine Rückkehr nach Russland geben würde. Ich fand schnell russischsprachige Freunde, die mir die Integration und das Lernen der Sprache sehr erleichtert haben.

Da ich in Russland nur meine Kindheit verbracht habe, fällt es mir schwer, eine umfassende Meinung zu bilden. Aber wenn ich vergleiche, gibt es hier in Deutschland, abgesehen von der finanziellen, gesundheitlichen und rechtlichen Sicherheit, deutlich mehr Freiheiten und Möglichkeiten. Man hat die Chance, unkompliziert zu reisen – sei es mit dem Auto in drei Stunden nach Prag oder in andere europäische Städte. Darüber hinaus schätze ich die beruflichen Perspektiven, die soziale Absicherung und die stabilen Lebensverhältnisse. Diese Dinge geben einem das Gefühl, als Person besser geschützt und unterstützt zu sein.

Schwer zu sagen. Wenn ich in Deutschland bin, fühle ich mich wie eine Russin. Bin ich in Russland, fühle ich mich wie eine Deutsche. Ich denke, der Begriff „Russlanddeutsche“ beschreibt es ziemlich treffend.

Ich unterscheide zwischen Heimat und Zuhause. Deutschland ist für mich zu meinem Zuhause geworden, denn mein ganzes Leben ist hier und findet hier statt. Meine Heimat aber wird immer Russland bleiben. Obwohl ich dort nur die schönste und einfachste Zeit meines Lebens, meine Kindheit, verbracht habe, wird dieser Ort in mir immer warme Gefühle hervorrufen und einen besonderen Platz in meinemHerzen haben. Heimat ist aber nicht ortsgebunden. Sie ist da, wo das Herz zu Hause ist, und für mich ist das hier, mit meiner Familie an meiner Seite. Ich bin noch so jung– wer weiß, wo und was mein nächstes Zuhause sein wird.

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Im nächsten Kapitel geht es um die wechselhaften Beziehungen zwischen Russland und Deutschland.